Die vernetzte Welt

Netzwerk Auf dem Weg nach Rom – natürlich bin ich wie immer in Eile. Schnell noch mit dem Smartphone auf dem Bahnsteig die Fahrkarte kaufen und einen Platz im Bordrestaurant reservieren. Da läuft der Zug auch schon auf dem angekündigten Gleis ein, zu dem mich die Bahnhofs-App zielsicher geleitet hat. Bahnhöfe sind zwar fast alle gleich, aber irgendwie auch wieder sehr unterschiedlich. Der Kaffee schmeckt und endlich finde ich ein wenig Zeit an dem längst fälligen Beitrag zum Thema “Vernetzung” für meine Agentur zu tippen.

Natürlich nicht wirklich zu tippen, unwillkürlich muss ich grinsen. Das Tablet hat mir eine Datei auf meinem Cloud-Drive geöffnet, und ich spreche in mein Bluetooth Headset. Die Sätze erscheinen wie von Geisterhand als Schrift auf dem Display. Natürlich stilistisch verbessert und mit korrekter Interpunktion. Die neue Journalist-App ist wirklich verdammt gut. Eigentlich brauche ich nur noch ein paar Stichworte zu nennen und im Handumdrehen entstehen gut lesbare Passagen zum Thema. Das ist letztlich nur eine Frage der Datenbank und die ist ja in der Cloud gespeichert und wird ständig durch tausende neu erscheinende Artikel aktualisiert.

Fast hätte mich diese App meinen Job gekostet. Erst mit der Spezialisierung auf personalisierte Artikel hatte meine Agentur eine gewinnbringende Nische gefunden. Genial – die Vorlieben des Lesers fließen mit in den Artikel ein, der quasi erst geschrieben wird, wenn er vom Leser abgerufen wird. So wird für jeden Einzelnen die Welt tatsächlich ein bisschen zu seiner eigenen Welt.

Den Gedanken verdränge ich schnell wieder und sehe, wie sich der Zug nahezu lautlos vorbei an Weinbergen und kleinen Gehöften durch eine liebliche Landschaft schlängelt. Mit einem leisen Plop erscheint meine Tochter in einem Fenster auf dem Tablet. Die Musikberieselung mit Bob Dylan aus dem NAS-Server endet abrupt. Cindy hat wohl mitbekommen, dass ich nach Rom unterwegs bin (muss dringend die Einstellungen meiner geo-location App überprüfen) und fängt an mich mit der “süßen Tasche von Louis Vuitton” zu nerven, die sie seit einiger Zeit ständig in den Werbeeinblendungen auf ihren Screens präsentiert bekommt.

Gut, dass inzwischen ein fast lückenloses Netz aus WLAN und UMTS zur Vernetzung der Geräte bereit steht. Darüber lassen sich die vielfältigsten Dienste anbieten, Beziehungen abbilden und Bedürfnisse des Menschen nach Kommunikation, Nähe und Information befriedigen. Bleibt abzuwarten, ob die Vernetzung der Welt für den Menschen eine höhere Erkenntnisstufe bedeutet, oder ob er es nicht schafft seine urzeitlichen Angstneurosen abzustreifen.

Ich bin recht zufrieden mit dem Schluss meines Artikels zum Thema Vernetzung und entscheide mich diesmal nicht, wie sonst üblich, ihn zu personalisieren. Komisch, denke ich noch beim Aussteigen in Roma Termini, vielleicht liegt’s daran, dass ich mir Louis Vuitton einfach nicht leisten kann.

Creative Commons Lizenzvertrag Severin Weißbach.

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